Frühkontakt nimmt zu: Mehr Smartphones bei Kleinkindern

Wir wissen, dass es falsch ist und sehen es trotzdem jeden Tag. Ein Kleinkind bekommt das Smartphone in die Hand, damit die Eltern kurz Ruhe haben. Für einen Moment ist es still. Doch dieser Moment hat einen hohen Preis, unter anderem Folgen für Sprache, Aufmerksamkeit und Bindung.

Bildschirme beruhigen, aber sie ersetzen Nähe, Sprache und echten Blickkontakt. Und genau das brauchen Kinder am meisten. Fachleute warnen: Früher Kontakt mit Smartphones verändert, wie Kinder sich entwickeln, sprechen und fühlen.

Ein Kleinkind im Kinderwagen schaut auf ein Smartphone, das von einem Elternteil gehalten wird.

Bild generiert mit Hilfe von KI (ChatGPT/DALL·E, OpenAI)

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Was Forschende beobachten

Seit Jahren zeigen Studien, dass frühe Bildschirmzeit die Entwicklung von Körper, Sprache und Psyche beeinträchtigt. Kinder, die schon als Babys regelmäßig aufs Handy schauen, bewegen sich weniger, sprechen später und reagieren empfindlicher auf Stress.

Ein Beitrag des ZDF Magazins frontal (ab Minute 32) zeigt eindrücklich, wie stark sich frühe Mediennutzung auf die kindliche Entwicklung auswirken kann. Forschende der Universität Siegen beobachten seit 2016 den digitalen Familienalltag und berichten, dass frühe Bildschirmnutzung das Körper- und Ich-Bewusstsein von Kindern verändert.

In der Fachklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie Hall in Tirol behandeln Ärztinnen und Therapeuten inzwischen Kleinkinder, die durch übermäßige Bildschirmnutzung kaum noch sprechen oder auf soziale Reize reagieren. Die leitende Ärztin Dr. Karin Prantl erklärt im ZDF Beitrag, dass sich diese Symptome zwar wie Autismus äußern, tatsächlich aber auf intensive Mediennutzung zurückführen lassen. Ihre Botschaft ist eindeutig: „Sprache entsteht im Dialog, nicht wenn Kinder auf leuchtende Bilder starren.“

Auch europäische Forschende schlagen Alarm. Eine deutschlandweite Studie „Screen free till 3“ (2022) untersucht, wie sich frühe Bildschirmzeit auf die Entwicklung von Babys und Kleinkindern auswirkt. Erste Ergebnisse zeigen, dass Kinder, die regelmäßig vor dem Bildschirm sitzen, sich langsamer entwickeln und weniger sprachliche Fortschritte machen (PubMed).

Eine weitere deutsche Untersuchung „Hand aufs Herz Studie“ (2024) mit über 900 Schulkindern belegt den Zusammenhang zwischen zu viel Mediennutzung, Bewegungsmangel und erhöhtem Stressniveau (PMC).

Auch eine europäische Studie fand klare Zusammenhänge zwischen Bildschirmzeit und gestörtem Lernverhalten. Kinder mit über zwei Stunden Bildschirmzeit täglich zeigten erhöhte Cortisolwerte und schwächere Sprachleistungen (Springer Link).

Warum frühe Nutzung gefährlich ist

Kleine Kinder können die Eindrücke eines Smartphones gar nicht richtig verarbeiten. Schnelle Bilder, grelle Töne, ständiger Wechsel. Das überfordert ihr Gehirn. Sie verlernen, sich selbst zu beschäftigen, verlieren Konzentration und innere Ruhe.

Forschende sprechen von einem „gestörten Ich Gefühl“. Kinder, die zu früh Medien nutzen, haben später häufiger Probleme mit Aufmerksamkeit, Empathie und Gefühlen. Eine Langzeitstudie der University of Calgary zeigt, dass frühe Bildschirmzeit mit Verhaltensproblemen und Lernschwierigkeiten im Schulalter zusammenhängt.

Politik entdeckt das Thema

Auch politisch kommt ein wenig Bewegung in die Debatte. Die neue Bundesministerin für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend Karin Prien (CDU) will den Umgang mit digitalen Geräten im Schulalltag neu ordnen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk kündigte sie eine wissenschaftliche Expertenkommission an, die Empfehlungen zu Handynutzung und Bildschirmzeiten bei Kindern erarbeiten soll.

Sie will vor allem Grundschulen stärken und Kinder frühzeitig besser auf die Schule vorbereiten, mit weniger Ablenkung, mehr Konzentration und einer engeren Verbindung zwischen Elternhaus, Kita und Schule. Ihr Ziel: Kinder sollen Kind bleiben dürfen, bevor sie digital werden.

Verantwortung beginnt bei uns Eltern

Wir alle stehen unter Druck. Job, Haushalt, Termine und da scheint das Handy oft wie die einfachste Lösung. Doch Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn sie uns ständig mit dem Smartphone sehen oder wir ihnen immer eines in die Hand drücken, glauben sie, das sei normal.

Kinder unter drei Jahren sollten gar keine Bildschirmzeit haben. Das empfiehlt auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Und auch danach nur wenig, am besten gemeinsam mit uns Eltern. So können wir erklären, was sie sehen, und Grenzen setzen, bevor es zur Gewohnheit wird.

Was wirklich hilft

Wir können viel tun, ohne gleich alles zu verbieten. Zum Beispiel:

  • Kein Handy beim Essen (Vorbildfunktion)

  • Kein Bildschirm im Kinderzimmer

  • Kein YouTube vor dem Schlafen

  • Medien nur gemeinsam und bewusst nutzen

Und vor allem: selbst Vorbild sein. Wenn wir das Handy weglegen, lernen Kinder, dass man auch ohne Bildschirm leben kann.

Kinder brauchen echte Gesichter, Stimmen, Bewegung und sogar auch Langeweile. Denn genau da entsteht Kreativität, nicht auf einem Display.

Wie wir über das Thema sprechen können

Fast alle Eltern kennen die Situation. Man steht auf dem Spielplatz, das Gespräch kommt auf Handys, und plötzlich wird es still. Niemand will die anderen bevormunden – und doch wissen wir, dass frühe Bildschirmzeit Kindern nicht guttut.

Es hilft, ruhig zu bleiben und eigene Erfahrungen zu teilen, statt zu urteilen. So bleibt man im Gespräch, ohne sich als Außenseiter zu fühlen. Gesprächsbausteine könnten sein:

  • „Ich hab gemerkt, dass mein Kind danach total aufgedreht ist, deswegen versuch ich’s zu begrenzen.“

  • „Wenn wir zusammen was spielen, redet es viel mehr – beim Video fast gar nicht.“

  • „Ich hab kein Problem mit Technik, ich will nur, dass mein Kind sie versteht, bevor sie es vereinnahmt.“

  • „Ich find’s manchmal schwer, konsequent zu bleiben. Aber je weniger Bildschirm, desto entspannter ist mein Kind.“

  • „Ich will niemandem reinreden, ich merk nur, dass es meinem Kind besser tut, wenn wir das Handy weglassen.“

So bleibt man Teil des Gesprächs – offen, ehrlich und ohne sich abzugrenzen. Denn niemand muss perfekt sein. Aber wer über das Thema spricht, hilft mit, dass wir Eltern uns gegenseitig stärken – für das, was wirklich zählt: gesunde, neugierige Kinder.

Fazit

Ein Smartphone gehört nicht in die Hände kleiner Kinder. Kein Video, keine App, kein Spiel kann das ersetzen, was sie wirklich brauchen: Nähe, Sicherheit, Aufmerksamkeit und Liebe, Wenn wir ihnen das geben, lernen sie, mit der Welt klarzukommen – ganz ohne Bildschirm.

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