Jugendschutz im Netz: was wir von China lernen können

Gastbeitrag von Stefan Heinemann

Der Schutz von Kindern im digitalen Raum ist keine Zukunftsfrage mehr, sondern eine der zentralen Aufgaben unserer Zeit. Während in Deutschland noch über Medienkompetenz, Verantwortung und Freiwilligkeit diskutiert wird, hat China längst gehandelt – mit klaren Regeln, technischen Grenzen und verbindlichen Pflichten für Plattformen wie Douyin, der chinesischen Version von TikTok.

Ein Smartphone zeigt die chinesische Flagge auf dem Bildschirm, im Hintergrund ist die deutsche Flagge leicht verschwommen zu sehen. Symbolisch für den Vergleich von Kinder- und Jugendschutz in China und Deutschland.

Bild generiert mit Hilfe von KI (ChatGPT/DALL·E, OpenAI)

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China: klare Regeln, klare Wirkung

In China dürfen Minderjährige Douyin nur begrenzt nutzen – maximal 40 Minuten am Tag, zwischen 22 und 6 Uhr gar nicht. Plattformen müssen nachweisen, dass ihre Inhalte jugendgerecht sind, und sie haften, wenn sie dagegen verstoßen. Inhalte werden geprüft, bevor sie veröffentlicht werden, und der Jugendmodus ist verpflichtend.

Natürlich ist das System autoritär, aber es wirkt. Kinder bekommen keine nächtlichen Push-Benachrichtigungen, keine Glücksspielwerbung, und sie werden nicht in endlose Feeds gezogen. Das Ziel: Konzentration, Bildung, Schutz.

Wichtig ist: Diese Regeln gelten vor allem für chinesische Plattformen wie Douyin, Bilibili oder Kuaishou. Internationale Angebote fallen nicht vollständig darunter, und viele Jugendliche umgehen die Regeln, indem sie die Accounts ihrer Eltern nutzen. Dennoch zeigt das System, dass klare Strukturen Wirkung haben können, wenn sie konsequent umgesetzt werden.

Deutschland: Vertrauen statt Kontrolle

Hier gilt der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – ein solides Fundament, aber mit vielen Lücken. Die Aufsicht liegt bei der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und den Landesmedienanstalten. Plattformen entscheiden aber leider oft selbst, was „geeignet“ ist. Statt klarer Pflichten gibt es Appelle an Eltern, Schulen und Anbieter. Der Gedanke ist gut, aber im Alltag bleibt vieles zahnlos. Kinder sind täglich stundenlang online, ohne dass jemand wirklich weiß, welchen Inhalten sie begegnen.

Was wir übernehmen könnten

China zeigt: Schutz funktioniert nur, wenn Verantwortung verbindlich geregelt ist. Auch Europa braucht klare Strukturen:

  • Nachweispflicht vor Veröffentlichung: Plattformen müssen belegen, dass Inhalte keine jugendgefährdenden Elemente enthalten, wie etwa Gewalt, Suchtmechanismen oder sexualisierte Darstellungen.

  • Klare Sanktionen bei Verstößen: Wer dagegen verstößt, verliert Lizenzrechte oder zahlt hohe Strafen, ähnlich wie bei Datenschutzverstößen.

  • Transparenzpflicht: Öffentliche Berichte über Algorithmusänderungen, empfohlene Inhalte und Nutzungszeiten bei Minderjährigen.

  • Pflicht-Jugendmodus: Jede App braucht einen standardisierten Modus für Minderjährige, der automatisch aktiviert wird, wenn sich jemand unter 18 Jahren registriert.

Der europäische Digital Services Act (DSA) geht bereits erste Schritte in diese Richtung – aber ohne verbindliche Altersgrenzen oder automatische Schutzmechanismen bleibt vieles freiwillig.

Checkliste für Eltern – was sofort hilft

  1. Zeitrahmen festlegen:
    Maximal 30 Minuten pro Tag für Unterhaltungskategorien wie Spiele, YouTube oder Streaming. Für die Kategorie und nicht pro App. Und wichtig: Kein Handy nach 21 Uhr.

  2. Gemeinsam statt heimlich kontrollieren:
    Schaut regelmäßig gemeinsam, welche Kanäle euer Kind nutzt. Redet darüber, statt einfach zu verbieten.

  3. Schutzfunktionen aktiv nutzen:
    Nutzt die Bildschirmzeit auf Apple-Geräten oder Google Family Link, um Nutzungszeiten zu begrenzen, Apps zu blockieren oder Berichte zu sehen. Diese Tools helfen, digitale Grenzen im Alltag umzusetzen.

  4. Interesse zeigen:
    Fragt nach, warum bestimmte Inhalte faszinieren. So entsteht Vertrauen, die beste Grundlage für Schutz.

  5. Vorbild sein:
    Kinder lernen durch Beobachtung. Wer selbst ständig scrollt, verliert jede Glaubwürdigkeit.

Schule und Politik – was sich ändern muss

  • Schule: Medienbildung muss fester Bestandteil des Unterrichts werden. Kinder sollten verstehen, wie Algorithmen funktionieren und wie sie manipulieren.

  • Politik: Plattformen sollten verpflichtet werden, ihre Algorithmen und Inhalte vorab auf Jugendverträglichkeit prüfen zu lassen, so ähnlich wie Medikamente oder Spielzeug.

  • Gesetzgeber: Sanktionen brauchen echte Konsequenzen. Wer gegen Jugendschutz verstößt, sollte seine Zulassung auf dem europäischen Markt verlieren.

  • Gesellschaft: Jugendschutz ist kein Eingriff in Freiheit, sondern Schutz der kindlichen Entwicklung – und damit Schutz unserer Zukunft.

Fazit

China setzt auf klare Grenzen, Deutschland auf Vertrauen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich dazwischen: Wir brauchen technische Schutzmechanismen wie in China, kombiniert mit Aufklärung und Beziehung wie in Deutschland. Denn am Ende geht es nicht um Kontrolle, sondern um Verantwortung, damit Kinder in der digitalen Welt sicher aufwachsen und die reale Welt trotzdem behalten.

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