Studie: Snapchat zählt zu den wichtigsten Tatorten sexualisierter Gewalt
Eine neue Studie zeigt, wo Jugendliche online besonders gefährdet sind.
Online sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist kein Randphänomen. Eine aktuelle Studie des Canadian Centre for Child Protection zeigt sehr deutlich, wo diese Gewalt besonders häufig stattfindet. In privaten Messaging Umgebungen und auffallend oft auf Snapchat. Die Ergebnisse stammen nicht aus Polizeistatistiken oder aus Berichten der Plattformen selbst, sondern direkt aus den Erfahrungen betroffener Jugendlicher. Genau das macht diese Studie für Eltern, Schulen und politische Entscheidungen so relevant.
Bild generiert mit Hilfe von KI (Gemini, Google)
Was wurde untersucht und wer wurde befragt
Die Studie trägt den Titel “Children’s experiences and perspectives on sexual violence on the internet”. Befragt wurden 1.279 Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren aus ganz Kanada. Alle Teilnehmenden hatten mindestens eine Form von online sexualisierter Gewalt erlebt. Die Befragung erfolgte anonym und wurde vom Meinungsforschungsinstitut Léger durchgeführt. Um eine landesweit aussagekräftige Stichprobe zu erhalten, wurden die Daten nach Alter, Geschlecht und Region auf Basis des kanadischen Zensus gewichtet.
👉 Zur Studie: https://protectchildren.ca/en/resources-research/osv-poll-report/
👉 Direkter PDF Download: https://content.c3p.ca/pdfs/C3P_SurveyReport_OnlineSexualViolence_en.pdf
Snapchat wird in der Studie ausdrücklich genannt
Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Rolle einzelner Plattformen. Snapchat ist die am häufigsten genannte Einzelplattform in der gesamten Untersuchung.
39 Prozent der befragten Jugendlichen geben an, dass sie auf Snapchat sexualisierte Gewalt erlebt haben. Wichtig ist dabei die richtige Einordnung dieser Zahl. Die Jugendlichen konnten mehrere Plattformen nennen, auf denen sie betroffen waren. Die Prozentwerte addieren sich also nicht zu 100 Prozent. 39 Prozent bedeutet nicht, dass nur ein Teil der Fälle dort stattfindet. Es bedeutet, dass fast vier von zehn betroffenen Jugendlichen Snapchat als Tatort nennen. In Studien mit Mehrfachnennungen ist ein solcher Wert außergewöhnlich hoch.
Zur Einordnung: Warum 39 % sehr viel sind.
In Befragungen, in denen mehrere Antworten möglich sind, gelten bereits Werte um 15 bis 20 Prozent als auffällig. Dass eine einzelne Plattform von fast 40 Prozent der Betroffenen genannt wird, zeigt eine besondere Häufung. Snapchat sticht damit deutlich aus der Vielzahl genutzter Apps heraus.
Diese Einordnung ist wichtig, weil Zahlen ohne Kontext schnell verharmlosend wirken können. Tatsächlich zeigt die Studie, dass Snapchat für viele Jugendliche ein zentraler Ort problematischer Erfahrungen ist.
Private Chats als größtes Risiko
Noch deutlicher wird das Bild, wenn man die Plattformzahlen mit einem weiteren zentralen Ergebnis der Studie verbindet. 86 Prozent der sexualisierten Übergriffe fanden in privaten Messaging-Umgebungen statt. Genau darauf ist Snapchat ausgelegt. Private Eins-zu-Eins-Kommunikation, Gruppen, flüchtige Inhalte und eingeschränkte Nachvollziehbarkeit prägen das Design der App.
Für Täter senkt das das Risiko entdeckt zu werden. Für Betroffene bedeutet es oft, dass Beweise fehlen, Meldungen ins Leere laufen oder sie sich allein gelassen fühlen. Die Studie macht deutlich, dass es sich hier nicht um individuelles Fehlverhalten handelt, sondern um ein strukturelles Problem digitaler Kommunikationsräume.
Welche Formen von Gewalt Jugendliche erleben
Die Studie zeigt auch, wie vielfältig die Übergriffe sind. 52 Prozent der befragten Jugendlichen berichten, dass sie ungefragt Nacktbilder oder sexualisierte Inhalte erhalten haben. 17 Prozent geben an, dass von ihnen ein gefälschtes Nacktbild oder ein sexualisiertes Bild erstellt wurde. Solche Deepfake-Inhalte sind längst kein Ausnahmefall mehr, sondern Teil der Realität vieler Jugendlicher.
Viele Betroffene berichten außerdem, dass sie Vorfälle nicht melden. Gründe sind fehlendes Vertrauen in die Reaktionen der Plattformen, Angst vor Schuldzuweisungen oder die Sorge, dass sich die Situation verschlimmert.
Was Jugendliche selbst fordern
Ein besonders deutliches Signal der Studie kommt von den Jugendlichen selbst. 93 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Apps und Plattformen gesetzlich verpflichtet werden sollten, Kinder besser zu schützen. Die große Mehrheit glaubt nicht daran, dass freiwillige Maßnahmen der Industrie ausreichen. Stattdessen fordern sie verbindliche Regeln und eine Gestaltung digitaler Angebote, bei der Sicherheit von Anfang an mitgedacht wird.
Empfehlungen der Studie
Aus den Ergebnissen leitet das Canadian Centre for Child Protection mehrere Empfehlungen ab. Dazu gehören klare Schutzpflichten auch für private Kommunikationsfunktionen, eine breite Einbeziehung aller relevanten Plattformen in zukünftige Online-Sicherheitsgesetze, gesetzliche Anpassungen im Umgang mit Deepfakes und unerwünschten sexuellen Bildzusendungen sowie verbindliche Sicherheitsanforderungen statt freiwilliger Selbstverpflichtungen.
Warum diese Studie für Eltern wichtig ist
Die Studie zeigt nicht, dass einzelne Eltern versagt haben. Sie zeigt, dass Kinder und Jugendliche digitale Räume nutzen, die strukturell riskant sind. Snapchat ist dabei kein Sonderfall, sondern ein besonders deutliches Beispiel für ein Design, das Nähe und Spontanität fördert, Risiken für sexualisierte Gewalt aber nicht ausreichend begrenzt.
Für Eltern bedeutet das vor allem eines. Schutz beginnt nicht erst beim Gespräch, sondern bei der bewussten Entscheidung, welche Plattformen Kinder nutzen dürfen. Altersfreigaben allein sind dabei kein verlässlicher Schutz. Entscheidend ist, wie eine App funktioniert, welche Kommunikationsräume sie öffnet und wie konsequent sie Kinder schützt.
Fazit
Die Studie zeigt sehr klar, dass sexualisierte Gewalt gegen Jugendliche vor allem dort stattfindet, wo Kommunikation privat, flüchtig und schwer kontrollierbar ist. Snapchat wird dabei nicht zufällig genannt, sondern weil die Plattform zentrale Risikofaktoren vereint. Wer Kinder schützen will, muss diese Strukturen benennen und verändern. Aufklärung allein reicht nicht. Es braucht verbindliche Regeln für Plattformen und den Mut, unbequeme Wahrheiten offen auszusprechen.
Weitere Quellen und Einordnung
Canadian Centre for Child Protection Übersicht
https://protectchildren.ca/en/resources-research/
Public Safety Canada zu Online sexual exploitation of children
https://www.canada.ca/en/public-safety-canada/campaigns/online-child-sexual-exploitation.html
OECD Bericht zu Online sexual exploitation and abuse
https://www.oecd.org/en/publications/transparency-reporting-on-child-sexual-exploitation-and-abuse-online-2025_a89e3f08-en.html
Cybertip Canada nationale Meldestelle
https://www.cybertip.ca