Anja Henkes macht Medienbildung zur Aufgabe der ganzen Schule

Gastbeitrag von Anja Henkes, Rektorin der Goethe-Grundschule in Potsdam Babelsberg

„Ich habe Angst vor YouTube.“
„Ich finde abends den Aus Knopf nicht mehr.“
„Manchmal bekomme ich Vorschläge, die ich anschaue, obwohl sie mir Angst machen.“
„Ich habe das ganze Wochenende gezockt.“
„Mir hat jemand ein Nacktbild geschickt und ich kenne den nicht.“

Diese Sätze habe ich aus allen Jahrgangsstufen gehört, als wir vor den Sommerferien an unserer Schule die Büchse der Pandora öffneten. Ich hatte viel gelesen, unter anderem von Silke Müller, Daniel Wolff, Elisabeth Koblitz und dem Cyberkriminologen Professor Rüdiger. Meine Frage war simpel. Passiert das wirklich auch in unserem vermeintlichen “Bullerbü Babelsberg” (Stadtteil von Potsdam) oder wird nur maßlos übertrieben?

Rektorin Anja Henkes steht vor der Goethe Grundschule in Babelsberg

© Foto: Stine Photographie

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Was wir erleben

Wie in vielen anderen Schulen kam die Ernüchterung direkt. In Klasse eins gibt es erste Kinder mit eigenem Smartphone. Spätestens ab Klasse vier ist es umgekehrt. Fast alle haben eins. Viele verbringen damit oder mit Zocken sehr viel Zeit. Zeit, die im echten Leben fehlt. Und viele sehen Inhalte, die nicht für Kinder geeignet sind. Auch Eltern können einfach nicht alles wissen. Wer das Video “Wo ist Klaus?” kennt, weiß was gemeint ist.

Hier das Video (YouTube)


Warum wir handeln

An Schulen schreiben wir Kinderschutzkonzepte und lassen genau diese Gefahren oft außen vor. Silke Müller spricht von “charmanten Ruinenverwaltungen”. Das trifft es. Also haben wir nicht lange diskutiert, sondern gestartet. Zuerst haben wir das Kollegium sensibilisiert. Gemeinsam sahen wir den Vortrag “Wir verlieren unsere Kinder” von Silke Müller. Danach präsentierten wir die Inhalte in der Elternkonferenz. Die Reaktion war gleich. Betroffenheit und der Wunsch zu handeln.

Steuergruppe Medienkompetenz

Eltern und Lehrkräfte gründeten eine Steuergruppe. Sie steuert die Aufklärung an unserer Schule und entwickelt Maßnahmen. Ein Ziel ist es, Kinder wieder stärker ins echte Leben zu holen. Spielen, streiten, lachen, einfach Kind sein. Eine Kollegin hat sich in “Achtsamkeit” fortgebildet. Seit Schuljahresbeginn fließen Übungen in den Unterricht ein.

Alle Eltern erreichen

Zum Start des neuen Schuljahres besuchten Schulleitung und Achtsamkeits-Kollegin die Elternabende in allen Klassen. In einem kompakten 30min Video-Vortrag fassten wir die wichtigsten Erkenntnisse zusammen. So erreichten wir innerhalb weniger Wochen die gesamte Elternschaft.

Einrichtung von Angeboten in der Schule

  • Social Media Sprechstunde: Unsere Schulsozialarbeiterin bietet eine vertrauliche Sprechstunde an. Kinder können dort über verstörende Inhalte sprechen und bekommen Hilfe.

  • Neigungsgruppen Social Media: In zwei Gruppen arbeiten Kinder der Klassen fünf und sechs. Nach einer Aufklärungsphase setzen wir kreativ an. Wir gestalten mit KI Plakate mit Situationen, in denen das Smartphone unangebracht ist. Ein Besuch im Museum für Kommunikation ist geplant. Dort erforschen die Kinder spielerisch Kommunikation und Medien.

  • Externe Expertise: Experten aus Medizin und Polizei kommen in die Schule. Es geht um Gesundheit, Recht und Sicherheit bei der Nutzung von Smartphone und sozialen Medien.

  • Achtsam digital und achtsam real: Einmal pro Woche erhalten alle Eltern per Mail einen Impuls. Ein Tipp zur Mediennutzung und eine Achtsamkeitsübung für den Alltag.

  • Kunst und Literatur: Auch Kultur hilft, die Mechanismen der Versuchung zu verstehen. Die Neuköllner Oper und das Museum für Kommunikation zeigen mit “Digital Sins” wie Social Media oft an unsere Grundtriebe andockt. In Geschichten begegnen uns Versuchungen seit jeher. Die Hexe aus “Hänsel und Gretel” lockt mit Süßem. Baron Lefuet in “Timm Thaler” kauft das Lachen. Samiel im “Freischütz” und Mephisto in “Faust” feilschen um die Seele. Die Grauen Herren aus „Momo“ rauben den Menschen ihre Lebenszeit. Heute liegt die Verlockung in der Hosentasche. Kinder können dem oft nicht widerstehen. Darum brauchen sie uns Erwachsene an ihrer Seite.

  • Kreative Projekte: Wir produzieren mit Schülerinnen und Schülern einen kurzen Werbeclip. Er zeigt, wie Social Media verführt und welche Folgen das haben kann. Die Gruppen entwickeln Szenen, die gute und schwierige Seiten zeigen. Dabei lernen sie, die Mechanismen hinter den Plattformen zu erkennen. Außerdem sammeln wir Situationen, in denen das Smartphone nicht passt. Diese Sammlung wird als Plakat und als digitale Präsentation in der Schule sichtbar. So trainieren wir gutes Verhalten im Alltag.

Fazit und wie es weitergeht

Aufklärung über Smartphone und KI ist keine einmalige Aktion. Sie ist eine Daueraufgabe. Was wir begonnen haben, ist der Startschuss für einen langfristigen Prozess an der Goethe-Grundschule Babelsberg. Wir sind überzeugt, dass eine fundierte Aufklärung über die Gefahren von Smartphones und KI entscheidend ist, um unsere Kinder auf ihrem Weg in die digitale Zukunft zu begleiten. Gemeinsam mit Eltern und der Schulgemeinschaft möchten wir sicherstellen, dass unsere Schülerinnen und Schüler die notwendigen Fähigkeiten entwickeln, um sicher und verantwortungsvoll mit digitalen Medien umzugehen.

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Online Safety Act – Großbritanniens Versuch, das Internet sicherer zu machen

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Apps sammeln die Daten unserer Kinder. Was sind sie wert?