Apps sammeln die Daten unserer Kinder. Was sind sie wert?

Viele Eltern und Kinder wissen eigentlich, dass es nichts umsonst gibt. Auch Apps und Spiele nicht. Hinter jeder App stehen Menschen, die Gehälter brauchen. Entwickler haben Familien, zahlen Miete und haben ganz normale Rechnungen. Irgendwoher muss also das Geld kommen.

Wenn keine einmalige Bezahlung als App- oder In-App-Kauf fällig wird, kommt das Geld in der Regel über Werbung, Käufe in der App oder aus dem Verkauf von Daten, die beim Nutzen der App entstehen. Genau hier beginnt das Problem. Denn damit Werbung besser wirkt und Käufe wahrscheinlicher werden, sammeln viele Apps sehr viele Informationen über ihre Nutzer. Bei Kinder-Apps ist das besonders heikel.

Ein etwa zwölfjähriges Kind blickt konzentriert auf ein Smartphone, aus dem symbolische Datenströme in Richtung einer unscharfen Stadtsilhouette fließen.

Bild generiert mit Hilfe von KI (ChatGPT/DALL·E, OpenAI)

Zählmarke

Wie Apps heute Daten sammeln und weitergeben

In sehr vielen Apps sind Bausteine von anderen Firmen eingebaut. Diese Bausteine heißen SDKs. Sie messen die Nutzung, verknüpfen Geräte und schicken Ereignisdaten an weitere Unternehmen. Das gibt es auf iPhones und auf Android Geräten.

Der Datenfluss endet dann auch nicht beim App-Anbieter. In der Online Werbung werden Daten in Echtzeit an viele Akteure verteilt. Werbefirmen bieten dann auf die Anzeige, die ein Nutzer oder ein Kind zu sehen bekommt. Dieses Verfahren heißt “Real Time Bidding”.

Untersuchungen von Verbraucher und Datenschutzorganisationen zeigen außerdem, dass Apps häufig Daten an sehr viele Firmen senden und oft auch in Länder außerhalb Europas. Dort gelten oft schwächere Regeln.

Kurz gesagt: Viele Apps messen sehr viel, leiten es an mehrere Firmen weiter und verknüpfen es mit Werbung. Das betrifft Kinder genauso wie Erwachsene.

Warum gerade Freemium Apps so viele Daten wollen

Freemium bedeutet: App gratis laden, Geld (für die Betreiber) kommt später. Die zwei wichtigsten Quellen sind Werbung und Käufe in der App. Je genauer eine App weiß, wer wann was nutzt, desto gezielter sind Anzeigen und desto besser funktionieren Anreize zum Kaufen. Genau deshalb sind Daten so wertvoll.

Welche Daten typischerweise gesammelt werden:

  • Gerätekennung und Werbe ID

  • Nutzungsdauer, Klicks, Spielverhalten

  • ungefährer oder genauer Standort

  • Ereignisse rund um Werbung, zum Beispiel ob eine Anzeige gesehen oder angetippt wurde

Wie viel genau erfasst wird, hängt von der App und den eingebauten Bausteinen ab. Das Grundprinzip ist jedoch gut belegt.

An wie viele Firmen die Daten gehen

Schon in einer einzigen App sind oft mehrere Messdienste aktiv. Häufig sind es fünf bis fünfzehn direkte Empfänger. Über deren Partner und Werbebörsen können dieselben Informationen bei sehr vielen weiteren Firmen landen. Es gibt keine feste Zahl für alle Fälle. Forschung und Berichte zeigen jedoch eine sehr breite Weitergabe.

Bild zeigt, wie Datenströme aus Handys in Richtung von Konzernen fliessen

Bild generiert mit Hilfe von KI (Gemini, Google)

Schutz der EU / DSGVO wird leicht umgangen

Kinder können in der EU nicht selbst in die Datenerfassung einwilligen. Nach der Datenschutz Grundverordnung gilt: Für Dienste im Internet brauchen Kinder unter 16 Jahren in der EU die Zustimmung der Eltern, wenn die App auf Einwilligung setzt. Einzelne Länder dürfen das Alter senken, jedoch nur bis minimal 13 Jahre. Die genaue Grenze liegt je nach Land also zwischen 13 und 16 Jahren.

Was in der Praxis passiert: Viele Apps fragen nur nach dem Alter. Kinder geben dann oft ein höheres Alter an, um die App nutzen zu können. So können Anbieter sagen, sie wüssten nicht, dass ein Kind die App nutzt. Formal berufen sie sich auf eine vermeintliche Einwilligung eines Erwachsenen. Praktisch fehlt damit echter Jugendschutz. Zusätzlich gilt in der EU ein Verbot von gezielter Werbung an Minderjährige auf großen Plattformen. Trotzdem sehen Kinder in der Praxis oft noch Werbung, weil Alter und Einwilligungen nicht zuverlässig geprüft werden.

Was sind Daten wert? Drei einfache Orientierungen

Einen festen Preis pro Kind gibt es nicht. Der Wert hängt davon ab, wie tief und aktuell die Daten sind und wie gut man damit Werbung steuern kann. Sicher ist nur Der Markt ist sehr groß und wächst weiter. Das zeigen Berichte zu Werbeauktionen und Zahlen aus der Branche.

(Es handelt sich Schätzwerte, die je nach Quelle schwanken. Sie verdeutlichen aber, wie der Markt funktioniert.)

Umsatz pro Nutzer als grober Maßstab

Große Plattformen veröffentlichen regelmäßig eine Kennzahl namens ARPU. Sie zeigt, wie viel Umsatz eine Firma im Schnitt pro Nutzer und Jahr macht, vor allem durch Werbung.

  • Beispiel Snapchat: Im Schlussquartal 2024 lag der weltweite ARPU bei rund 3,44 US Dollar pro Quartal. Aufs Jahr gedacht sind das grob im Bereich 10 bis 14 US Dollar pro Nutzer, je nach Schwankungen. Das ist ein guter Anhaltswert dafür, was ein großer Dienst mit Werbung im Schnitt pro Person umsetzen kann. (SEC)

  • Beispiel Meta: Meta meldete für 2024 rund 164,5 Milliarden US Dollar Umsatz, fast komplett aus Werbung. Meta weist auch ARPU aus, der je nach Region deutlich variiert und im globalen Schnitt im zweistelligen Dollarbereich pro Jahr liegt. Für Eltern reicht die Aussage. Pro Person kommen bei großen Werbeplattformen im Jahr mehrere Dutzend US Dollar zusammen. (investor.atmeta.com)

Wichtig: ARPU ist kein „Preis pro Kind“. Es ist nur eine einfache Brille, um die Größenordnung der Werbeumsätze pro Kopf zu verstehen. Die Zahlen zeigen aber deutlich, dass wirklich viele Daten und Zugriffe von uns und unseren Kindern gebraucht werden, um Apps profitabel zu machen. Der hohe Druck auf die Entwickler wiederum sorgt dafür, dass Apps immer perfidere Methoden beinhalten, um User zu binden und noch mehr Daten zu sammeln.

Auktionen in Echtzeit zeigen die Marktdimension

Bei der Anzeige einer Werbung läuft im Hintergrund eine Mini Auktion. Das nennt sich “Real Time Bidding”. Es gibt dafür keine feste „Preisliste pro Kind“, aber die Größenordnung hilft.

  • Aktuelle Dossiers schätzen die jährlichen Ausgaben für solche Auktionen in Europa auf rund 100 Milliarden Euro und weltweit auf einen ähnlich großen dreistelligen Milliardenbetrag. Das zeigt vor allem eins. Es fließt sehr viel Geld in Systeme, die auf persönlichen Daten und Profilen basieren. (iccl.ie)

Einzelne Datentypen sind unterschiedlich wertvoll

Studien zur Zahlungsbereitschaft zeigen, dass Menschen den Schutz mancher Daten höher bewerten als anderer, etwa Gesundheit und Standort höher als allgemeine App Nutzung. Daraus kann man keine feste Preisliste ableiten, aber es erklärt, warum bestimmte Datenarten im Werbemarkt und bei Datenhändlern besonders begehrt sind. (PLOS)

Eine wichtige Beobachtung aus der Praxis: Behörden gingen 2024 gegen Datenhändler vor, die präzise Standortdaten verkauft haben. Preise wurden nicht veröffentlicht, aber die Verfahren zeigen deutlich, dass solche Datenströme existieren, gehandelt wurden und als besonders sensibel gelten. (Federal Trade Commission)

Was heißt das ganz einfach gesagt

  • Es gibt keinen festen Preis pro Kind.

  • Der Wert entsteht im Paket: durch viele Datenpunkte über lange Zeit, die zusammen sehr gut vorhersagen, was jemand klickt oder kauft.

  • Für Eltern reicht im Grunde als Richtwert: Große Plattformen setzen im Schnitt zweistellige Dollarbeträge pro Person und Jahr um. Bei Kindern ist der direkte Werbewert oft niedriger, die Profile sind aber früh und langfristig angelegt, was sie über die Jahre interessant macht.

Wenn ihr mehr über den Wert von Daten wissen wollt, lest hier weiter:

  • Meta Ergebnismeldung 2024 Umsatz, Kontext Werbung. (investor.atmeta.com)

  • Snap 2024 ARPU und Nutzerzahlen, SEC Filing und Investor Relations. (SEC)

  • ICCL zu RTB Marktdimension und Überblick. (iccl.ie)

  • Studien zur Zahlungsbereitschaft für Datenschutz und Wert einzelner Datentypen. (PLOS)

  • FTC Verfahren gegen Datenbroker Outlogic X Mode, ergänzende Berichte. (Federal Trade Commission)




Warum das für Kinder wichtig ist

Viele Kinder denken bei kostenlosen Apps nicht an Geld. Das ist normal. Auch wir Erwachsene vergessen oft zu fragen, wie sich so eine App finanziert. Eine gute Einstiegsfrage für zu Hause ist deshalb ganz einfach: “Womit verdient diese App wohl ihr Geld?

Belohnungen, tägliche Aufgaben und kleine Tricks sorgen dafür, dass man gern länger bleibt. Das fühlt sich gut an und ist so gewollt. Zusammen kann man kurz schauen, was daran Spaß macht und wo es vielleicht zu viel wird. Zum Beispiel mit einer kleinen Regel: Erst eine Runde mal gucken, dann eine Pause und checken.

Daten reisen im Hintergrund durch viele Stationen. Das sieht man nicht und macht es schwerer zu erkennen, wer alles mitliest. Es hilft, das einmal laut zu sagen. Wir wissen nicht genau, wer unsere Daten bekommt, deshalb wählen wir Apps bewusst aus und schalten nur das frei, was nötig ist

Eltern und Kinder können das gemeinsam angehen. Kleine Fragen reichen.

  • Wie verdient die App eigentlich Geld?

  • Welche Daten werden abgefragt?

  • Braucht die App wirklich Standort oder Mikrofon?

  • Welchen Vorteil habe ich, wenn ich das erlaube?

  • Was passiert, wenn ich es nicht erlaube?

So bleibt die Haltung freundlich und neugierig und wir behalten trotzdem die Kontrolle

Was Eltern jetzt konkret tun können

  • Apps bewusster auswählen:
    Am sichersten sind Apps, die gar nicht online kommunizieren. Sie sammeln deutlich weniger Daten und funktionieren auch ohne Konto. Der Haken ist: die Auswahl wird kleiner und manche beliebten Funktionen fehlen. Wenn es trotzdem eine Online-App sein soll, nehmt möglichst eine ohne Werbung und mit klarer Bezahloption. Achtet dabei darauf, dass auch Kauf Apps nicht automatisch sicher sind. Manche Anbieter kassieren zweimal. Einmal beim Kaufpreis und zusätzlich über Werbung, Daten oder ein späteres Abo. Schaut vor dem Kauf in den Store, ob unter dem Preis Hinweise wie enthält Werbung oder In App Käufe stehen. Lest kurz die Bewertungen, ob nachträglich ein Abo eingeführt wurde oder Funktionen hinter einer Bezahlschranke gelandet sind. Nach dem Kauf öffnet ihr die App und prüft die Einstellungen. Gibt es ein Abo Menü oder eine Schaltfläche Werbefrei. Wenn euch etwas stört, nutzt die Rückerstattungsfrist des Stores. Offline Apps bleiben die ruhigste Wahl, auch wenn die Auswahl kleiner ist. In einigen Fällen gibt es neben der datensammelnden Freemium Variante auch die gleiche App zum Kauf, das ist meist die bessere Wahl.

  • Einstellungen am Gerät:
    Nehmt euch einmal im Monat fünf Minuten für die Grundeinstellungen. Setzt die Werbe ID auf iPhone und Android zurück oder beschränkt sie. Lasst den Standort nur zu, wenn es wirklich nötig ist. Sperrt Käufe in der App oder schützt sie mit einem Code. Aktiviert die Kindersicherung mit Apple Bildschirmzeit oder Google Family Link. Dort könnt ihr Zeitlimits setzen, Apps freigeben oder blockieren und Berichte zur Nutzung sehen. Behaltet Abos im Blick. Auf iPhone unter Einstellungen Name Abos. Auf Android in Google Play Zahlungen und Abos. Kündigt testweise sofort nach Abschluss, wenn ihr ein Abo nur ausprobieren wollt, und prüft dann in Ruhe, ob ihr es wirklich braucht.

  • Mit eurem Kind sprechen:
    Erklärt in einfachen Worten, dass kostenlos nicht wirklich kostenlos ist. Geld kommt durch Werbung, Käufe und Daten. Vereinbart ein paar klare Regeln. Keine echten Namen, keine Bilder ohne Rücksprache, keine Zustimmung zu Dingen, die man nicht versteht. Öffnet neue Apps gemeinsam und schaut euch die Berechtigungen an. Fragt euch zu zweit, ob die App wirklich Zugriff auf Standort oder Mikrofon braucht. So wird Datenschutz eine gemeinsame Sache und kein Verbot. Auch in den App-Stores steht unter jeder App ein Datenschutzhinweis, meist sehr kurz und mit Icons bebildert, so dass man wirklich schnell sehen kann, was eine App sammelt.

  • Rechte nutzen:
    In der EU haben Kinder und Eltern starke Rechte. Ihr dürft Auskunft verlangen, welche Daten gespeichert sind, und ihr dürft die Löschung verlangen. Schreibt kurz und freundlich an den Anbieter und bittet um Auskunft oder Löschung der Daten eures Kindes. Wenn niemand antwortet, hakt nach. Notfalls könnt ihr euch an die zuständige Datenschutzbehörde wenden. Beharrlichkeit wirkt oft mehr als man denkt.

  • Im Alltag:
    Apps nur nach kurzer Prüfung installieren. Beim ersten Start alle Abfragen lesen und immer nur das Nötigste erlauben. Nach einer Woche die Nutzung ansehen und Berechtigungen erneut prüfen. Einmal im Monat gemeinsam aufräumen. Was nicht genutzt wird, fliegt runter.

Hinweise zu Zahlen in diesem Artikel

  • Wo genaue Beträge und Teamgrößen nicht veröffentlicht sind, sind Werte als Beispiele gekennzeichnet. Sie erklären das Modell und können von der Realität abweichen.

  • Markt und Umsatzzahlen schwanken je nach Quelle. Ich nutze aktuelle und belastbare Quellen und führe sie unten auf.

  • Die Aussagen zu Trackern, SDKs und Werbeauktionen sind strukturell gut belegt. Einzelne Apps können aber mehr oder weniger messen als der Durchschnitt.

Quellen

Tracking in Apps, SDKs und Store Angaben

  • Reuben Binns u. a., Third Party Tracking in the Mobile Ecosystem, 2018, Auswertung von 959.000 Apps. (arXiv)

  • Mozilla Foundation, See No Evil, 2023, zu Lücken bei Googles Data Safety Labels; Berichte von The Verge und WIRED dazu. (Mozilla Foundation)

  • D. Rodriguez u. a., Comparing Privacy Label Disclosures of Apps in iOS und Google Play, 2023, Abweichungen bei den Label Angaben. (usableprivacy.org)

Weitergabe, Werbung und Real Time Bidding

  • Irish Council for Civil Liberties, Dossiers und Zahlen zu Real Time Bidding. (iccl.ie)

  • Überblicksseiten zu RTB und Datenschutz, inklusive Zusammenfassungen aktueller Zahlen. (epic.org)

Verbraucherschutz und internationale Datenflüsse

  • Norwegian Consumer Council, Out of Control Bericht, 2020, plus technischer Prüfbericht und Projektseite. (storage02.forbrukerradet.no)

Durchsetzung gegen Datenhändler

  • US Federal Trade Commission, X Mode Outlogic, 2024, Verbot der Weitergabe sensibler Standortdaten; weitere FTC Materialien zu InMarket. (Federal Trade Commission)

  • Zusammenfassende Berichte und Analysen zu diesen Verfahren. (Federal Trade Commission)

EU Recht für Minderjährige, Einwilligung und Werbung

  • DSGVO Artikel 8, Bedingungen für die Einwilligung von Kindern in Online Diensten. (GDPR)

  • Digital Services Act, Verbot von gezielter Werbung an Minderjährige und Schutzpflichten. (Digitale Strategie Europas)

Branchenkontext

  • Sensor Tower, State of Mobile Gaming 2025, Marktüberblick mit Methodik. (Sensor Tower)

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