Unterschätztes Risiko "Gruppen auf WhatsApp und co" - was Kinder wirklich erleben...

Wenn Eltern über WhatsApp-Gruppen nachdenken, dann meistens an den Klassenchat, den Gruppenchat mit der Familie oder an Verabredungen mit anderen Eltern. Doch für Kinder und Jugendliche sind Messenger-Gruppen ein ganz eigenes Universum – mit eigenen Regeln, Dynamiken und auch Risiken.

Mehr als nur der Klassenchat

Der Klassenchat ist meist der einzige Gruppenchat, von dem Eltern überhaupt wissen – und selbst der sorgt schon oft für genug Aufregung. Doch daneben existieren viele weitere Gruppenchats, die sich aus Freizeitinteressen, Hobbys, Freundeskreisen oder Online-Aktivitäten ergeben. Und sie sind längst nicht alle in WhatsApp.

Bild erstellt mit künstlicher Intelligenz (ChatGPT / DALL·E von OpenAI) 

Zählmarke

Wo sich Kinder (wirklich) vernetzen

  • WhatsApp, Signal, Threema & Co.
    Diese Dienste werden auch von Kindern genutzt – vor allem wegen der Gruppenfunktionen. Neue Gruppen entstehen spontan, manchmal nur für wenige Stunden. Oft ist nicht mal klar, wer sie gegründet hat oder warum man plötzlich dabei ist. Inhalte: Insiderwitze, Memes, Verabredungen, aber auch verletzende Inhalte oder problematische Inhalte.

  • Gaming-Chats & Voice-Channels
    In Spielen wie Fortnite, Minecraft oder Roblox – aber auch auf Plattformen wie Discord – organisieren sich Kinder und Jugendliche in eigenen Gruppen, schreiben miteinander oder sprechen live im Voice-Chat. Diese Kommunikationsräume sind für Eltern oft unsichtbar, weil sie nicht nur über das Handy laufen, sondern auch über Konsole, PC oder Tablet – also Geräte, die meist weniger überwacht werden.

    Diese Chats wirken nach außen harmlos, sind aber oft der Ort, an dem erste Gruppendynamiken entstehen, wo sich Rollen festigen oder Frust und Ausgrenzung Platz finden. Wer nicht mitredet, ist schnell „raus“. Wer sich danebenbenimmt, fliegt raus – manchmal auch öffentlich und verletzend.


Gruppen sind kein geschützter Raum – im Gegenteil

Was Kinder auf ihrem Smartphone sehen, bleibt Erwachsenen meist verborgen. Besonders in Gruppenchat-Kontexten begegnen sie häufig Inhalten, die sie überfordern oder sogar gefährden können: Pornografie, Hassrede, Gewalt und rassistische Inhalte kursieren dort ebenso wie Kettenbriefe, Cybermobbing und Datenschutzverstöße. Immer mehr Kinder werden über Messenger-Gruppen mit schädlichen Inhalten konfrontiert – und oft sind sie damit allein.
Hier sind einige Punkte, die Eltern kennen sollten:

1. Druck durch Gruppenmechanismen

In Gruppenchats entsteht schnell ein sozialer Druck: Wer nicht reagiert, ist „langweilig“ oder „uncool“. Wer etwas Falsches schreibt, wird ausgelacht oder bloßgestellt. Viele Kinder haben Angst, etwas zu verpassen – oder aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Diese Dynamik sorgt dafür, dass sie ständig online sind, oft mit einem unguten Gefühl im Bauch.

2. Gruppen hören nie auf – besonders nicht nachts

Gruppen haben keine Pausenzeiten. Viele Chats laufen rund um die Uhr, und besonders nachts wird es problematisch. Eine Untersuchung des Gymnasiums Veitshöchheim berichtet von 500–600 Nachrichten pro Tag – teilweise sogar mitten in der Nacht um 3 Uhr morgens (Quelle).

Die Initiative Schau hin! weist zudem darauf hin, dass jeder fünfte Jugendliche nachts durch Chatnachrichten geweckt wird – mit spürbaren Folgen für Schlaf, Konzentration und seelisches Gleichgewicht (Quelle).

3. Kein Schutz vor Inhalten – alle sehen alles

In Gruppenchats kann jeder alles posten – und alle sehen es, egal ob sie wollen oder nicht. Gewaltvideos, pornografische Inhalte, rassistische oder menschenverachtende Inhalte tauchen immer wieder in Gruppenchats von Kindern und Jugendlichen auf. Solche Inhalte sind nicht altersgerecht – und können Kinder nachhaltig verstören oder traumatisieren. Das Problem: Es gibt kein Filtersystem, keine Verzögerung, keine Kontrolle.

Wenn in Messenger-Gruppen Nacktfotos oder Hakenkreuze verschickt werden, können sich Heranwachsende übrigens strafbar machen – selbst dann, wenn sie die Inhalte nur weiterleiten.

4. Unklare Teilnehmer – offene Türen für Fremde

Oft kennen Kinder nicht alle Teilnehmer persönlich. In manchen Gruppen sind fremde NummernFake-Profile oder sogar erwachsene Täter mit pädophilen Absichten vertreten. Solche Personen geben sich als Gleichaltrige aus, beobachten, knüpfen Kontakte – und nutzen die Dynamik der Gruppe, um Vertrauen aufzubauen. Gruppen werden so zu Einfallstoren für Missbrauchsversuche, ohne dass Eltern etwas davon mitbekommen.

5. Hate Speech, Mobbing – und sogar Erpressung

Gruppenchats sind ein Nährboden für digitale Gewalt: Beleidigungen, Ausgrenzung, das Teilen von peinlichen Bildern oder das gezielte Bloßstellen einzelner Kinder gehören vielerorts zum Alltag. Dank KI neuerdings auch mit bearbeiteten oder sogar neu erstellten Fotos – oft täuschend echt – von anderen Teilnehmern oder gezielt gegen Mobbing-Opfer gerichtet. Sogar Videos in Fotoqualität sind möglich.

Das ist Mobbing auf einem ganz neuen und besonders bedrohlichen Level. Was ein wenig helfen kann: niemals eigene Fotos in Gruppenchats posten, auch das Profilbild besser anonym halten oder durch ein neutrales Symbol oder Emoji ersetzen.

Inzwischen warnen Polizeibehörden auch vor konkreten Erpressungsfällen.
Beispiel: WhatsApp-Gruppen, in denen Kindern mit dem Tod gedroht wurde, um an persönliche Daten zu kommen – darunter Kinder im Grundschulalter (NDR-Bericht).
Gruppenchats sind ein Nährboden für digitale Gewalt: Beleidigungen, Ausgrenzung, das Teilen von peinlichen Bildern oder das gezielte Bloßstellen einzelner Kinder gehören vielerorts zum Alltag. Inzwischen warnen Polizeibehörden auch vor konkreten Erpressungsfällen.
Beispiel: WhatsApp-Gruppen, in denen Kindern mit dem Tod gedroht wurde, um an persönliche Daten zu kommen – darunter Kinder im Grundschulalter (NDR-Bericht).


Verhaltensregeln im Gruppenchat – das sollten Kinder lernen

  • Privatsphäre respektieren: Persönliche Daten wie Telefonnummern gehören nicht in die Gruppe.

  • Recht am eigenen Bild: Bilder dürfen niemals ohne Zustimmung weitergeleitet oder veröffentlicht werden.

  • Kein Spam: Unnötige Nachrichten nerven – besonders in Infochats.

  • Keine Kettenbriefe: Vor allem beängstigende Nachrichten sollten ignoriert und niemals weitergeleitet werden.

  • Unbekannte Kontakte blockieren: Keine Chats mit Fremden. In WhatsApp geht das über: Einstellungen → Datenschutz → Blockierte Kontakte → Kontakt hinzufügen.

  • Kein Mobbing oder Hate Speech: Niemand darf beleidigt oder ausgegrenzt werden. Wer sexistische, rassistische oder beleidigende Inhalte teilt, muss blockiert und gemeldet werden.


Strafbarkeit und rechtliche Folgen

Was vielen nicht bewusst ist: Das Teilen, Weiterleiten oder Speichern strafbarer Inhalte – wie z. B. rassistischer Memes, Hakenkreuze, Gewaltvideos oder pornografischer Darstellungen – ist auch für Kinder und Jugendliche strafbar. Es spielt dabei keine Rolle, wer den Inhalt ursprünglich erstellt hat. Wer solche Inhalte auf dem Handy gespeichert hat oder sie anderen zeigt, kann sich strafbar machen.

Ein Beispiel aus der Praxis: Zeigt ein Kind in der Schule einem anderen Kind ein Hitler-Meme auf dem Smartphone – und ein Lehrer bekommt das mit – muss dieser den Vorfall melden. In einem bekannten Fall kam daraufhin die Polizei in die Schule. Die betroffenen Eltern waren entsetzt: Ihr Kind habe „doch gar nichts gemacht“. Das mag emotional nachvollziehbar sein – rechtlich handelt es sich dennoch um eine Straftat.

Tipp: In vielen Messenger-Apps lassen sich Bilder und Videos automatisch in der Galerie speichern. Das kann dazu führen, dass strafbare Inhalte auch ohne eigenes Zutun dauerhaft auf dem Gerät landen. Deshalb sollte man das automatische Speichern von Medien dringend deaktivieren:

  • In WhatsApp: Einstellungen → Speicher und Daten → Medien Auto-Download → Deaktiviere automatische Downloads für Fotos, Videos und Dokumente.

  • Zusätzlich: In der Foto-App des Smartphones kann oft eingestellt werden, dass WhatsApp-Medien nicht angezeigt werden.

Das reduziert nicht nur rechtliche Risiken, sondern schont auch den Gerätespeicher.

Tipps für Eltern

  • Grundschulkinder sollten grundsätzlich nicht in Gruppenchats sein. Wenn es unbedingt nötig ist, dann nur in Gruppen, die einen klaren Zweck erfüllen (z. B. Familiengruppe). Von sogenannten Klassen-Infochats ist ausdrücklich abzuraten – es gibt kein einziges Beispiel, in dem ein solcher Chat jemals wirklich hilfreich oder notwendig war. Hausaufgaben verpasst? Unsicher, ob eine Stunde ausfällt? Dann kann man jemanden anrufen. In Chatgruppen führt das meist nur zu Missverständnissen, Unruhe und zusätzlichem Druck.

  • Alle Teilnehmer sollten ausnahmslos bekannt sein, und mindestens eine vertrauenswürdige, vernünftige Stimme sollte mit in der Gruppe sein – zum Beispiel ein Elternteil, der mitliest und im Zweifel eingreifen kann.

  • Sprich regelmäßig mit deinem Kind über Gruppenchats. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit echtem Interesse. Frage:

    • In welchen Gruppen bist du?

    • Wie fühlt sich das für dich an?

    • Gibt es Regeln?

    • Was passiert, wenn sich jemand nicht daran hält?

    • Was war das letzte Video oder Meme, das du in einer Gruppe gesehen hast?

  • Wenn dein Kind viel online spielt oder in Discords unterwegs ist (besonders Jungs sind hier oft betroffen):Sprecht über den Umgangston, über Sprache und Respekt. Auch über Werte: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Und: Niemand darf dich beleidigen, ausschließen oder einschüchtern – auch nicht in einem Spiel.

Denn Gruppen prägen den digitalen Alltag von Kindern – ob Eltern davon wissen oder nicht.

Zum Schluss

Es ist nicht leicht, mit all dem umzugehen – weder für Kinder noch für Eltern. Wir selbst sind oft in Gruppen, Chats und Kanälen unterwegs, haben dort viele gute Erfahrungen gemacht und erleben meistens einen zivilisierten Umgang. Aber wir wissen auch: Es geht anders. Gerade Kinder verstehen oft nicht, welche Wirkung ihre Worte oder Bilder haben können – und welche Konsequenzen damit verbunden sind.

Wir alle sind in diese digitale Welt hineingestolpert. Niemand hat uns wirklich gezeigt, wie man sich darin sicher und respektvoll bewegt. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Kindern zur Seite stehen. Nicht mit Kontrolle, sondern mit Gesprächen, mit Interesse, mit klaren Werten – und mit dem Mut, auch mal „Nein“ zu sagen, wenn etwas nicht gut tut.

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Warum wir unseren Kindern das erste Smartphone nicht zu früh geben sollten

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CapCut : Euer Kind in einer TikTok-Werbung – und niemand hat euch gefragt