"Alle anderen dürfen das!"

„Alle anderen dürfen das!“ – kaum ein Satz bringt Eltern so zuverlässig in die Bredouille wie dieser. Und fast immer geht es um digitale Themen: das erste Smartphone, WhatsApp, Instagram, ein Spiel auf dem Handy oder eine App, die eigentlich erst ab 16 ist. Kinder und Jugendliche vergleichen sich ständig mit Gleichaltrigen – und für Eltern bedeutet das: erklären, begründen, aushalten. Doch wie geht man mit solchen Situationen gut und souverän um?

Bild erstellt mit künstlicher Intelligenz (ChatGPT / DALL·E von OpenAI)

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Warum Kinder so argumentieren

Für Kinder ist Zugehörigkeit wichtig – je älter sie werden, desto mehr orientieren sie sich an Gleichaltrigen. Wer dazugehören will, will nicht auffallen oder „anders“ behandelt werden. Wenn Freunde schon ein Smartphone haben oder sich in Gruppenchats über Dinge austauschen, bei denen man selbst außen vor bleibt, entsteht schnell das Gefühl: Ich bin ausgeschlossen.

Der Satz „Alle anderen dürfen das!“ ist dann kein Angriff, sondern ein Versuch, diesen Nachteil auszugleichen – oft auch mit ein bisschen Drama, um das Gegenüber zu überzeugen. Hinter dem Satz steckt also der Wunsch nach Teilhabe und Anerkennung – nicht der Versuch, Eltern unter Druck zu setzen. Trotzdem fühlt es sich oft genau so an.

Typische Reaktionen – und warum sie oft nicht helfen

Eltern antworten auf diesen Satz gern mit Klassikern wie:

  • „Was andere dürfen, ist mir egal.“

  • „Wenn alle von der Brücke springen, springst du auch?“

  • „Früher hat das auch nicht geschadet!“

So nachvollziehbar diese Sätze sind – hilfreich sind sie selten. Denn sie beenden das Gespräch, statt es zu öffnen. Kinder fühlen sich damit oft nicht ernst genommen. Und der eigentlich sinnvolle Wunsch nach Austausch bleibt auf der Strecke.

Wichtiger Perspektivwechsel: Wer diesen Satz hört, kann sich fragen: Was will mein Kind mir gerade sagen? Oft lautet die Antwort: „Ich fühle mich außen vor.“ – und genau da kann man ansetzen.

Wie man souverän reagiert

1. Ruhe bewahren – und nachfragen

Bevor man sich zu einer schnellen Antwort hinreißen lässt, hilft eine einfache Frage:
„Wer genau darf das denn?“ oder „Wer hat das gesagt?“
Oft stellt sich dann heraus: Es sind nicht alle, sondern vielleicht zwei oder drei Kinder – manchmal auch solche, bei denen die Eltern sehr locker sind oder bei denen man gar nicht weiß, was zuhause wirklich erlaubt ist.

Auch hilfreich: „Was genau würdest du denn gerne machen – und warum?“
Geht es um Kontakt zu Freunden? Um das Gefühl, nicht abgehängt zu werden? Je besser man das Bedürfnis versteht, desto gezielter kann man reagieren – und Alternativen aufzeigen, falls ein direktes Ja nicht möglich ist.

2. Eigene Haltung erklären – und die Gefühle des Kindes ernst nehmen

Ein einfaches „Nein“ frustriert – vor allem, wenn es nicht erklärt wird. Besser ist es, die Entscheidung nachvollziehbar zu machen:

„Ich verstehe, dass dir Instagram wichtig erscheint, weil deine Freunde dort unterwegs sind. Aber wir haben uns als Familie entschieden: Bei uns ist das frühestens ab 14 ein Thema – wenn du bestimmte Dinge schon besser einordnen kannst. Und vorher sprechen wir gemeinsam darüber, wie man sicher und respektvoll mit solchen Plattformen umgeht.“

Gleichzeitig sollten die Gefühle des Kindes nicht abgewertet werden:
„Ich sehe, dass dich das gerade echt ärgert. Und das darf es auch. Ich bleibe trotzdem bei unserer Entscheidung.“

So erlebt das Kind: Ich werde gesehen, auch wenn es kein Ja gibt. Das ist wichtiger, als es auf den ersten Blick scheint.

3. Kompromisse und Alternativen – ohne zu früh nachzugeben

Ein „Noch nicht“ kann deutlich machen, dass die Tür nicht für immer zu ist – sondern dass es gute Gründe für die Entscheidung gibt. Kinder erleben dann: Es geht hier nicht um Willkür, sondern um Schutz und Entwicklung.

In solchen Gesprächen hilft es, eine klare Perspektive aufzuzeigen: „Instagram gibt’s bei uns ab 14. Das ist unsere Grenze. Und bis dahin kannst du zeigen, dass du mit digitalen Themen verantwortungsvoll umgehst.“ Das kann heißen, dass man offen über Medienerfahrungen spricht, sich mit Risiken beschäftigt oder gemeinsam Medienregeln reflektiert.

So entsteht kein fauler Kompromiss, sondern ein Rahmen, in dem sich das Kind ernst genommen fühlt – ohne dass die Grundentscheidung verwässert wird. Wichtig ist: Alternativen müssen echt sein – keine Ausweichlösungen oder halbgaren Zugänge, sondern echte Gespräche auf Augenhöhe.

4. Mit anderen Eltern austauschen – auch wenn man sie (noch) nicht kennt

Oft sind es genau die Kinder, die in ihrer Klasse oder Clique besonders viel dürfen – und die wir selbst nicht unbedingt als Vorbilder sehen würden –, auf die sich das eigene Kind in der Argumentation beruft. Doch deren Eltern kennt man oft gar nicht persönlich.

Deshalb lohnt es sich, bewusst Kontakt zu anderen Eltern aufzubauen. Zum Beispiel:

  • über Elternabende oder Klassenchats

  • durch kurze Gespräche beim Abholen

  • über Elternsprechstunden oder gemeinsame Aktivitäten

Ein guter Gesprächseinstieg:
„Wie handhabt ihr das mit Handyzeit/Instagram/Spiele-Apps? Wir suchen da gerade unseren Weg.“
Oft zeigt sich: Die meisten Eltern ringen mit denselben Fragen – und der Austausch tut gut. Vielleicht ergeben sich sogar gemeinsame Absprachen, die den Druck für alle senken.

5. Über Gruppendruck sprechen – und das Kind stärken

Kinder und Jugendliche brauchen Strategien, um sich in Gruppen nicht ständig anpassen zu müssen. Eltern können dabei helfen, Worte zu finden:
„Du darfst ruhig sagen: Meine Eltern informieren sich viel über solche Themen, und wir haben besprochen, dass es ok ist, wenn Dinge Schritt für Schritt kommen.“

Auch wichtig: Kinder dürfen wissen, dass es normal ist, sich ausgeschlossen zu fühlen – und dass dieser Druck nicht für immer bleibt. Gemeinsam kann man überlegen, wie sie in solchen Momenten reagieren können und wer ihnen zur Seite steht: gute Freund:innen, Geschwister, Eltern, oder auch Vertrauenslehrer:innen in der Schule.

Das Wichtigste: Kinder brauchen das sichere Gefühl, nicht allein zu sein – auch wenn sie mal nicht alles dürfen, was andere scheinbar tun.


Orientierung braucht Haltung – und Konsistenz

Elternsein heißt, Entscheidungen zu treffen – auch unbequeme. Aber Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen Orientierung. Und die entsteht vor allem durch Klarheit und Verlässlichkeit.

Konsistenz ist entscheidend: Wer mal Ja, mal Nein sagt – je nach Stimmung, Tagesform oder Lautstärke des Protests – schafft Unsicherheit. Kinder lernen dann, wie sie Schlupflöcher finden. Aber sie verlieren dabei auch Vertrauen und Halt.

Das heißt nicht, dass Eltern ihre Meinung nie ändern dürfen – im Gegenteil: Fehler zuzugeben und Haltungen weiterzuentwickeln ist wertvoll. Aber das sollte nachvollziehbar geschehen – nicht wankelmütig oder beliebig.

Denn worauf es am Ende wirklich ankommt:
dass Kinder wissen, woran sie sind – und dass man es gut mit ihnen meint.

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